David Hume verstand unter Wundern „Verletzung der Naturgesetze“. In diesem Artikel wird die Frage behandelt, ob dieser Einwand heute noch vertreten werden kann und ob daraus folgt, dass Wunder nicht möglich sind.
Ein Wunder ist eine Verletzung der Naturgesetze, und da eine feste und unabänderliche Erfahrung diese Gesetze errichtet hat, ist der Beweis gegen ein Wunder aus der Natur der Sache so vollgültig, wie sich eine Begründung durch Erfahrung nur überhaupt denken läßt.
David Hume, An Enquiry Concerning Human Understanding (Simon & Brown, 1777), Abschnitt 10.
Im Abschnitt X in „An Enquiry Concerning Human Understanding“ schrieb der bekannte Philosoph David Hume (1711-1776), dass Wunder Verletzungen der Naturgesetze darstellen. Nach seiner Ansicht werden diese Gesetze durch unsere „stabile und unveränderliche Erfahrung“ bestätigt.1 Kurz gesagt: Was die Naturgesetze vorhersagen, geschieht immer wieder.
Norman Geisler weist darauf hin, dass Hume’s Argument in zwei Formen verstanden werden kann.2 Gemäss der ersten, weichen Form werden die Naturgesetze durch eine enorm grosse Zahl an Belegen bestätigt. Ansonsten könnte man es wohl kaum ein Naturgesetz nennen. Wunder hingegen geschehen viel seltener. Deswegen werden die Belege, die zugunsten der Naturgesetze sprechen, diejenigen, die zugunsten eines Wunders sprechen, überwiegen. D. h. Wunder sind grundsätzlich unwahrscheinlich. Die zweite, harte Form seines Arguments besagt, dass wir über keine Erfahrungen oder Zeugenaussagen bzgl. Wunder verfügen. Weil unsere menschliche Erfahrung bestätigt, dass Naturgesetze in Kraft sind, wir aber gleichzeitig keine Erfahrungen von Wundern haben, folgert man, dass Wunder grundsätzlich unmöglich sind.
Konzentrieren wir uns nun zuerst auf die weiche Form des Arguments, die besagt, dass Wunder grundsätzlich unwahrscheinlich sind. Hume greift in seiner Behauptung auf das „Wiederholbarkeitsprinzip“ zurück. Die Abläufe der Natur können viel öfter wiederholt und beobachtet werden als Wunder. Deswegen werden die Belege zugunsten der Naturgesetze immer grösser sein als diejenigen, die für ein Wunder sprechen. Das Problem bei der Anwendung dieses Prinzips scheint aber zu sein, dass Hume nicht wirklich die Belege abwägt, sondern diese aufaddiert. D. h. wenn man bspw. beobachten würde, dass 10 Menschen sterben und danach nicht wieder lebendig werden und eine Person beobachtet, die wiederaufersteht, dann ist das Verhältnis 10:1. Wenn man hingegen beobachtet, dass 10 Mia. Menschen sterben und nicht mehr auferstehen, dann wäre das Verhältnis 10’000’000’000:1. Wenn man von mehr Menschen weiss, die gestorben sind, dann wird es unwahrscheinlicher, dass diese auferstehen. Eines der grössten Probleme mit diesem Argument ist, dass es zu viel beweist. Wenn man die Erfahrungen von vergangenen Ereignissen in dieser Weise aufaddiert, dann führt dies dazu, dass man sehr seltene und ungewöhnliche Ereignisse automatisch als unwahrscheinlich betrachtet und diesen daher keinen Glauben schenkt. So gesehen dürfte man bspw. Napoleon’s abenteuerlichen Heldentaten keinen Glauben schenken, da die Schilderungen einfach zu fantastisch klingen. Angewandt auf den Kontext von Wundern müsste man zudem folgern, dass kein Wunder geschehen ist, auch wenn dies effektiv der Fall gewesen wäre.
Bevor wir die harte Form des Arguments gegen Wunder betrachten, ist es sinnvoll zu definieren, was unter einem Wunder verstanden werden kann. Gary Habermas definiert Wunder so:
Ein Wunder ist ein dynamisches, spezielles Ereignis, welches durch die Natur nicht produziert werden kann, wobei die normalerweise bekannten Muster der Natur temporär abgelöst oder scheinbar abgelöst werden. Solch ein Ereignis wird durch die Kraft Gottes oder eines anderen übernatürlichen Agenten zum Zweck der Verifizierung einer Botschaft oder zur Widmung der Aufmerksamkeit einer Person hervorgebracht.
Gary Habermas, „Defining a Miracle,“ Vorlesung, Liberty University, Lynchburg, VA, 17. März 2018.
Zwei Punkte aus dieser Definition sind bemerkenswert. Erstens werden die Naturgesetze nicht gebrochen, sondern kurzzeitig abgelöst bzw. verdrängt. Zweitens wird ein Wunder durch eine Person hervorgebracht.
Die Bezeichnung „harte Form“ bedeutet nicht unbedingt, dass dieses Argument schwieriger zu beantworten ist, sondern vielmehr, dass die Schlussfolgerung (Wunder sind nicht möglich) wahrscheinlicher ist, wenn das Argument erfolgreich ist. Untersuchen wir nun, ob dem so ist. Wenn man Hume’s Argument so versteht, dass (1) es sich bei Wundern um Verletzungen der Naturgesetze handelt und (2) die Naturgesetze unveränderlich sind, dann sind Wunder per Definition nicht möglich. In diesem Fall betrachtet Hume das zu Beweisende als feststehend. Wenn Wunder aber, wie im Fall von Habermas, als Ereignisse definiert werden, bei denen die Naturgesetze kurzzeitig abgelöst werden, dann ist dieses Problem umgangen.
Schlussfolgerungen
Wir sind in diesem Artikel nicht darauf eingegangen, ob es keine guten Indizien dafür gibt, dass Wunder stattgefunden haben. Der Fokus lag vielmehr darauf, ob das Auftreten von Wundern grundsätzlich a priori ausgeschlossen werden kann. Es wurde klar, dass Hume’s Argument in zwei Formen verstanden werden kann. Das Argument in der weichen Form ist etwas stärker, weist aber das Problem auf, dass es zu viel beweist und wir selbst dann ausschliessen müssten, dass ein Wunder geschah, auch wenn es effektiv geschehen ist. In der harten Form hingegen werden Wunder per Definition ausgeschlossen. D. h., das zu Beweisende, wird zu Beginn schon angenommen. Aus diesen und anderen Gründen kann nicht ausgeschlossen werden, dass Wunder tatsächlich stattfinden.