Der Mensch ist das Maß aller Dinge, der seienden, dass sie sind, der nichtseienden, dass sie nicht sind.
Platon, Theaitetos 152a.
Schon die antiken Philosophen fragten sich, was Wahrheit genau ist. Protagoras behauptete, dass der Mensch das Mass aller Dinge ist, anstatt dass er von den Dingen selbst gemessen wird. In anderen Worten: Der Mensch ist der Standard und wird nicht selbst von einem unabhängigen Standard gemessen. Sokrates befasste sich mit dieser Aussage und stellte in Theaitetos eine Reihe von Fragen. Er stellte zuerst fest, dass Protagoras selbst ein Lehrer war. Dann fragte er aber, welche Autorität seine Lehren besitzen, wenn die Meinung der Mehrheit entscheidet, was richtig oder falsch ist. Zudem stellte er die Frage, ob Protagoras selbst mit den Leuten einverstanden sei, die seine Aussage nicht akzeptieren. Dies zeigt bereits, dass diese relativistische Ansicht gewisse Probleme aufweist.
Relativismus
Heutzutage sind wir manchmal zu ähnlichen Aussagen geneigt. „Die Wahrheit ist relativ. Es ist vielleicht wahr für dich, aber nicht für mich.“ Diese Aussagen können aus einer demütigen und toleranten Haltung hervorgehen, was durchaus lobenswert ist. Und ist es nicht ohnehin so, dass gewisse Dinge wirklich von Person zu Person unterschiedlich sind? Ich liebe beispielsweise Schokoladen-Eis, andere mögen aber lieber Vanille-Eis. Verhält es sich mit der Wahrheit ebenso? Ist die Wahrheit relativ?
Zuvor haben wir gesehen, dass die Ansicht von Protagoras selbst einen Wahrheitsanspruch hat. Deswegen können wir uns fragen, ob es sich mit der Aussage „alle Wahrheit ist relativ“ nicht gleich verhält. Tatsächlich hat die Ansicht einen allgemeinen Wahrheitsanspruch. Dass Wahrheit relativ ist, hat für jeden zu gelten. Aber gibt es dann nicht doch eine Wahrheit, die für alle gilt? Es scheint, dass mindestens eine Aussage für alle gilt, also nicht relativ, sondern absolut ist. Diese Ansicht widerspricht sich selbst. Die Aussage „alle Wahrheit ist relativ“ erzeugt einen Widerspruch, wenn man sie auf sich selbst anwendet, da die Aussage einen absoluten Anspruch hat. An dieser Stelle können wir uns zudem fragen, ob dies die einzige Aussage ist, die für alle gilt. Wenn nicht, welche absoluten Wahrheiten gibt es dann noch zu entdecken?Postmodernismus
Es gibt eine weitere Ansicht, die ähnliche Problematiken aufweist. Kurz gefasst besagt der Postmodernismus, dass Wahrheit nicht durch eine Verbindung zur objektiven Realität bestimmt ist, sondern durch unterschiedliche soziale Konstruktionen. Dabei geht man nicht unbedingt davon aus, dass es keine objektive Realität gibt, sondern dass wir diese nicht erkennen können. Wir können diese lediglich durch Konzepte und die Sprache beschreiben. In einem gewissen Sinne scheint diese Ansicht ebenfalls demütig. Es wird zurecht eingestanden, dass wir nicht alles objektiv erfassen können. Dennoch weist auch diese Ansicht eine Reihe von Problematiken auf.
So weist Erickson darauf hin, dass postmoderne Aussagen eine Tendenz dazu haben, Widersprüche zu generieren, wenn behauptet wird, dass diese Aussagen sich auf die Realität beziehen. Metanarrative2 sind allumfassende Beschreibungen bspw. der Vergangenheit oder auch des Lebens selbst. Dabei handelt es sich sozusagen um eine Interpretation eines grossen Ganzen. Die Behauptung zum Beispiel, Metanarrative seien unterdrückend, ist selbst auch ein Metanarrativ. Somit hat dieses Gedankensystem selbst die Tendenz, sich selbst zu widersprechen, wenn man die Aussagen auf sich selbst anwendet. Teilweise wird auch behauptet, dass ein Text keine objektive Bedeutung hat. Dennoch fühlen sich Advokaten dieser Ansicht (zurecht!) missverstanden, wenn man ihre Schriften falsch interpretiert.3 Ein weiterer Punkt ist der, dass diese Ansicht ein Mangel an Autorität aufweist. Zurecht können wir uns fragen, weshalb wir den Metanarrativ von jemand anderem akzeptieren sollen. Warum können wir nicht unseren eigenen Metanarrativ behalten? Zum Beispiel den, dass es eine absolute Wahrheit gibt? Wieso sollte ich mich überzeugen lassen, dass die postmoderne Ansicht die richtige ist?
Korrespondenztheorie der Wahrheit
Zu sagen, dass das, was ist, ist, ist wahr, zu sagen, dass das, was nicht ist, ist, ist falsch. Ebenso beim Nicht-Seienden. Wer also sagt, dass etwas ist oder nicht ist, wird Wahres oder Falsches sagen. Man kann aber nicht sagen, dass das Nicht-Seiende ist oder das Seiende nicht ist.
Aristoteles, Metaphysik 1011b25.
Schon Aristoteles vertrat die Ansicht, dass es eine „Korrespondenz“, d. h. eine Verbindung oder Übereinstimmung zwischen den Worten, mit denen wir eine Aussage machen und den Fakten in der Welt gibt. Wenn man die Aussage und die Fakten vergleicht, kann man somit beurteilen, ob die Aussage wahr oder falsch ist. Implizit nehmen wir diese Ansicht an, wenn wir etwas über die Realität bestätigen. Wir sind zwar berechtigt, eine eigene Meinung zu haben, aber nicht dazu, dass wir auch unsere eigenen Fakten bestimmen. Goldman vergleicht die Beziehung zwischen unseren Überzeugungen über Wahrheit mit einer Wette an einem Pferderennen. Es ist uns überlassen, auf welches Pferd wir setzen. Wir können uns für dieses oder jenes entscheiden. Aber welches Pferd tatsächlich gewinnt, ist unabhängig von uns.4 Somit ist es abhängig von der Realität, was wahr oder falsch ist.5
Die Ansicht, dass es eine Verbindung zwischen Aussagen und der Realität gibt, war im Verlauf der Geschichte häufig verbreitet. Sie wird in der Bibel implizit, also ohne dies ausdrücklich zu erklären, vorausgesetzt. So betont Paulus in 1 Kor 15:15-16 bspw., dass die Toten entweder auferweckt werden oder nicht. Hier wird eine direkte Verbindung zwischen der Aussage und der Realität vorausgesetzt. Wenn Tote nicht auferweckt werden, dann wurde auch Christus nicht auferweckt. Es ist nicht relativ von Person zu Person abhängig, ob Jesus Christus auferweckt worden ist. Wenn Jesus nicht auferweckt wurde, dann ist der christliche Glaube nichtig (1 Kor 15:17). Entweder die Auferstehung ist geschehen oder sie ist nicht geschehen. Wenn Jesus auferstanden ist, dann hat dies praktische Konsequenzen für jeden Menschen. Deswegen ist es wichtig herauszufinden, was die historischen Quellen über das Leben und den Tod von Jesus Christus sagen.
Fussnoten
- Pixabay, PDPics ↩︎
- Erzählperspektive über die Vergangenheit, die für lange Zeit vorherrschend geblieben ist. ↩︎
- Millard Erickson, Postmodernizing the Faith: Evangelical Responses to the Challenge of Postmodernism (Grand Rapids: Baker, 1998), p. 156. ↩︎
- Alvin Goldman, Knowledge in a Social World (New York: Oxford University Press, 1999), 20. ↩︎
- Alvin Goldman, Knowledge in a Social World (New York: Oxford University Press, 1999), 21. ↩︎